Fast jeder hat solch ein Stück Software auf seinem
Rechner, ein Zip-Tool. Ein klug ausgedachter Algorithmus
sucht nach Redundanzen in einer Datei und packt sie dann
platzsparend zusammen. Niederländische Wissenschaftler
sind jetzt darauf gekommen, dass sich dieser Algorithmus
auch für ganz andere Zwecke einsetzen lässt. Mit
seiner Hilfe untersuchen sie Musik. Das Kompressionsprogramm
findet heraus, ob es sich bei einem Stück um Jazz, Rock
oder Klassik handelt.
Von Achim Killer
Was für den normalen Radiohörer kein Problem
ist, kann der Computer nicht ohne weiteres: Musikrichtungen
unterscheiden. Also beispielsweise erkennen, dass es sich
bei "All Blues" von Miles Davis um Jazz handelt, und das das
etwas anders ist als "All along the Watchtower" von Jimi
Hendrix. Genau das aber haben die drei Wissenschaftler Rudi
Cilibrasi, Professor Paul Vitanyi und Dr. Ronald de Wolf vom
Dutch National
Research Institute in Amsterdam dem Rechner beigebracht.
Es funktioniert mit Hilfe von Allerwelts-Tools,
Kompressionsprogrammen wie beispielsweise Winzip. Das
heißt, die holländischen Wissenschaftler haben
das Linux-Werkzeug bzip2 genommen. Und damit haben sie quasi
als Referenz ein Stück jeder Stilrichtung komprimiert
und dann dasselbe Stück zusammen mit jeweils einem
weiteren, einem der gleichen oder einem einer anderen
Richtung. Und danach war es dem Rechner möglich, Miles
Davis von Jimi Hendrix und Ludwig van Beethoven zu
unterscheiden. Der erstaunliche Effekt ist relativ
einfach zu erklären. Kompressionswerkzeuge arbeiten
dann besonders effektiv, wenn sie es mit möglichst
ähnlichen Dateien zu tun haben. "Star Spangled Banner" lässt sich dichter packen als "Hey Joe" und die
Schicksalssymphonie. Und dadurch ist der Rechner dann in der
Lage, Übereinstimmungen im Stil zu identifizieren.
Etwas, was sich beispielsweise im Online-Handel nutzbringend
anwenden ließe, wie einer der Forscher meint, die
diesen Effekt entdeckt haben. Dazu Dr. Ronald de Wolf:
Na ja, Musik dergestalt zu gruppieren, dass
ähnliche Stücke in Gruppen zusammengefasst werden,
ist etwas, was bereits getan wird. Web-Sites wie Amazon.com
und andere empfehlen einem ja, wenn man eine bestimmte CD
kauft, daß einem bestimmte andere dann sicherlich auch
gefallen würden. Auf diesen Web-Sites existiert jeweils
bereits eine umfassende Zusammenstellung ähnlicher
Musikstücke. Und sowas ist kommerziell sehr
nützlich. Aber die Zusammenstellung erfolgt meist
manuell. Das könnte man jedoch automatisch erledigen.
Das wäre eine mögliche Anwendung, die automatische
Gruppierung von Musikstücken, so dass ähnliches
automatisch entdeckt wird.
Bereits vor einem Jahr hatten italienische Forscher eine
ähnlich erstaunliche Entdeckung gemacht. Sie hatten
herausbekommen, dass man mit Hilfe von
Kompressionswerkzeugen Sprachen analysieren kann - mit
derselben Methode. Wenn sich mehrere Texte zusammen gut
komprimieren lassen, dann liegt die Vermutung nahe, dass es
sich dabei, um verwandte Sprachen handelt. Also Texte in
verschiedenen romanischen Sprachen lassen sich dichter
zusammenpacken als es der Fall wäre, wenn noch ein
deutscher oder ein englischer dabei wäre.
hundertprozentig sicher ist die Methode natürlich
nicht. Aber Sprachwissenschaftler wenden sie an, um ihre
Forschungsgegenstände grob vorzusortieren. Und auch in
der Musikwissenschaft setzen einige jetzt große
Hoffnungen auf die zip-Tools. So hat Science überlegt,
ob sich nicht damit, das Geheimnis um Mozarts Requiem
lösen ließe, ein Stück, das der jung
gestorbene Komponist nicht selbst vollenden konnte.
Das Requiem von Mozart wurde von Süssmayr
fertiggeschrieben. Und es ist unklar, inwieweit er Mozarts
Vorgaben gefolgt ist, oder ob er die letzten Teile des
Requiems selbständig komponiert hat. Unsere Methode
wäre prinzipiell in der Lage das zu klären. Man
könnte das Requiem nehmen, einige Mozart-Stücke
und einige Süssmayer-Stücke und dann schauen, ob
der Schluss des Requiems näher bei Mozart oder bei
Süssmayr liegt. Wir könnten das tun. Aber es gibt
nicht sehr viele Süssmayer-Stücke, um den
Vergleich durchzuführen, zumindest nicht im
Midi-Format.
Ja, und daran liegt es, dass eine der ganz großen
Fragen der Musikgeschichte jetzt doch nicht mit Hilfe von
einen Stückchen Freeware beantwortet werden kann.
DeutschlandRadio-Online ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Links. |